Wer 24 Stunden wandern kann, kann auch 12 Stunden mit Schneeschuhen wandern? Wer seit Jahren 24 Stunden Wanderungen organisiert, kann auch ein 12 Stunden Schneeschuh-Event organisieren? Die Möglichkeit dies auszuprobieren bot sich im Februar bei den Winter Outdoor Tagen im Berchtesgadener Land, bei dem (laut Aussage des Veranstalters) zum ersten Mal in den Alpen eine 12-Stunden-Schneeschuhwanderung durchgeführt wurde.
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Neben allen Qualen, die so ein lädiertes Handgelenk mit sich bringt, war es ein großer Spaß und ein einzigartiges Erlebnis, an der Tour durch das Lattengebirge teilzunehmen und auch, die eigenen Grenzen kennen zu lernen und zu überwinden.
Der Anfang am Samstag morgen ist noch harmlos: wir steigen in Schönau am Königssee in einen Bus, der uns nach Bad Reichenhall fährt, zur Talstation der Predigtstuhlbahn, der „ältesten im Original erhaltenen ganzjährig verkehrenden Großkabinenseilbahn der Welt“. An der Talstation werden erst einmal alle Lawinen Verschütteten Suchgeräte auf funktionierendes Senden und Empfangen getestet…
…dann geht es in drei Gruppen mit der Gondel die 1.150 Hm hinauf zum Predigtstuhl. Unterwegs spielt der „Fahrer“ ein Liedchen auf der Mundharmonika, ein berühmtes Echo gibt es hier allerdings nicht.
Dann heißt es Schneeschuhe anziehen und los, auch wieder in drei Gruppen, jede mit Bergführer. Kurz auf einem breiten Spazierweg…
…aber schon nach ein paar Metern biegen wir rechts in den Hang und wandern erst mal wieder 450 Hm hinunter. Weglos, ziemlich steil und relativ anspruchsvoll, normalerweise hätte es mir keine Probleme gemacht, aber mit einem gerade heilenden Handgelenk will man doch Stürze unbedingt vermeiden.
Bei einer ersten kleinen Pause an der Schlegelalmhütte – damit sich die drei Gruppen wieder zusammenfinden – lacht uns dann schon die Sonne ins Gesicht, beim gegenseitigen Fotografieren lernen sich die Teilnehmer schon ein wenig besser kennen.
Weniger steil, im auf und ab durch den Wald, erreichen wir die Röthelbachalm, wo wir seltsam lange auf die anderen Gruppen warten müssen und dann mit unserem Bergführer schon zum nächsten Treffpunkt weiterwandern, der Moosenalm, wo wir gemütlich in der Sonne ausruhen können.
Schon jetzt, nach rund 5 Stunden, merken wir, dass Schneeschuhwandern doch sehr viel anstrengender ist als „normales“ Wandern im Sommer. Und im Rückblick: die Röthelbachalm war der einzige Ort der Tour, wo wir andere Menschen gesehen haben, jede Menge Skitourengeher – kaum zu glauben bei dem Trubel, den man vom Königssee im Sommer kennt… Das Spazieren im Schnee durchs Lattengebirge ist herrlich, die Aussicht auf die umliegenden Gipfel, das Watzmann-Massiv vor allem, macht auch von unten gipfelglücklich, die wechselnden Lichtverhältnisse im Tagesverlauf, die Wolkenwechsel am Himmel beeindruckend.
Als die anderen Gruppen bei uns ankommen, erfahren wir, dass einige Wanderer schon früh abbrechen und von einem Bergführer zurück begleitet werden mussten, was die beiden Gruppen entsprechend aufgehalten hat. Gemeinsam geht es nun weiter – und ich gestehe, dass ich wandern in einer Kolonne mit 50 anderen Leuten nicht so toll finde. In Ausnahmefällen wie bei dieser 12-Stunden-Wanderung mag es in Ordnung sein, aber generell mir sind kleine, ruhige Gruppen lieber, wo ich selber mein Tempo bestimme, wo niemand von hinten drängelt (oder ich denke, dass Leute drängeln), wo man nicht ständig fotografiert wird, wo bei 2 oder 5 Leuten auch einfach mal Ruhe ist. Wo ich auch selber nach dem Weg schauen muss, mitdenken muss, und nicht wie bei den Lemmingen einfach in der Reihe den anderen hinterhertrotte…
An der Mordau-Alm (auch liebevoll Mordor genannt) trennt sich nach etwa 8 Stunden die Spreu vom Weizen – ein Teil der Gruppe hat genug, er geht hinunter zum Taubensee, wo ein Bus warten wird; der andere Teil will weiter zum Schwarzeck und die 12 Stunden durchhalten. Ich hatte mich vorher schon erkundigt, ob Handgelenkgeschädigte zwischendurch wohl abbrechen können – und nun ringe ich lange mit mir, ob ich vernünftig bin und aufhöre, oder ob ich es durchziehe und hier im Blog etwas Ordentliches zu berichten habe. Ich entscheide mich zum Weitermachen, noch 4 Stunden weitergehen. Und verbringe die folgenden Kilometer damit mich zu fragen, ob es wohl die richtige Entscheidung war…
Etwas 35 Schneeschuhwanderer sind noch dabei, in einer langen Schlange geht es im Wechsel von sanften Steigungen und Gefälle weiter. Es wird nun klar, wie deutlich wir im Zeitplan hinterher hängen – bis 16 Uhr hätten wir mit dem Sessellift zum Hirscheck hinauffahren können, wo warmes Essen vorbereitet ist. Inzwischen ist 16 Uhr längst vorbei, es dämmert, unsere Ankunft an der Hütte gegen 18.30 Uhr ist realistisch – und anstatt uns im Sessellift zurückzulehnen müssen wir eine Schlittenpiste hinauf schlurfen.
Das stupide Vor-mich-hingehen auf der Schlittenpiste ist alles andere als schön, von der Weite, der Sonne, dem Natürlichen von anderen Schneeschuhwanderungen ist nichts zu spüren. Ab der dritten Kurve oder so mag ich mich nicht mehr unterhalten, aller Atem wird zum Gehen gebraucht. Im eigenen gleichmäßigen Tempo, es bleibt mir ja nichts anderes übrig als Weiterzugehen. Es wird immer dunkler aber noch geht es ohne Stirnlampe. Ein paar mal kommen rasen (man kann es nicht anders nennen) andere Wanderer an mir vorbei, es findet jeder irgendwie seinen eigenen Rhythmus. Zwei, drei Mal überhole ich andere!
Und irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, weicht der Wald zurück und der Himmel kommt zum Vorschein, das Ende der Schlittenbahn, und die hell erleuchtenden Fenster der Hirschkaser Hütte strahlen herüber, wie eine Oase nach einer wochenlangen Wüstendurchquerung. Geschafft. Beim Begegnen auf der Treppe auf dem Weg zum Klo und an der Getränkeausgabe strahlen sich alle an. Geschafft. Endlich Zeit, das durchgeschwitzte Merinoshirt gegen ein frisches auszutauschen. Und dann steht da ein Teller Nudeln vor mir. Ich habe ihn schon zur Hälfte inhaliert, als mir einfällt, dass ich für diesen Bericht hier ja ein Foto brauche:
Vom zweiten Teller Nudeln gibt es kein Foto… Gegen halb 8 heißt es Fleecejacke zwischen Shirt und warme Jacke ziehen, Schneeschuhe anschnallen, Stirnlampen an, weiterlaufen. Irgendwie machen es die Beine von selbst, man hat ja keine andere Wahl als mitzumachen. Die Strecke über die alte Schlittenbahn Richtung Ramsau ist einfach zu gehen, ein breiter Weg, platt getrampelter Schnee, nicht allzu steil. Ein Schritt folgt einfach auf den anderen – dann erreichen wir eine Straße. Kaum sind die Schneeschuhe ausgezogen, kommen Lichter näher – ein Bus, der uns aufsammelt, 12 Stunden sind jetzt vorbei. Auf der Fahrt zurück zum Startpunkt an der Bobbahn in Schönau am Königssee gibt es Ibuprofen als Belohnung.
Im „Ziel“ startet wildes Geschichtenerzählen mit strahlenden Gesichtern…
…Strecken-Tracks und Höhenprofile werden verglichen…
…es gibt eine Urkunde…
..und wir erfahren das Wichtigste: die 12-Stunden-Schneeschuhwanderung im Berchtesgadener Land wird es auch 2016 wieder geben. Meine Empfehlung: Anmelden. Mitwandern. Durchbeißen!
——-
In den neuen Reisetipps Berchtesgadener Land habe ich mehr Infos zu den Winter Outdoor Tagen, eine Hotel-Empfehlung und Tipps für andere Aktivitäten zusammengeschrieben. Und es geht um Batman.
Weitere Berichte vom 12-Stunden-Schneeschuhwandern bei KulturNatur.de und auf Nordbayern.de.
——–
Die Berchtesgadener Land Tourismus GmbH hat mich zu den Winter Outdoor Tagen eingeladen, vielen Dank!
Ausrüstungs-Tipps für Schneeschuh-Touren
Herausgeberin des Gipfelglück Blogs – seit 2011 eine Sammlung von persönlichen Erfahrungen beim Wandern, Bergsteigen, Radlfahren und Reisen, im Chiemgau, in den Alpen, weltweit.
Mit einer Vorliebe für Höhenmeter, Kuchen, Kaffee, Bücher, Yoga und Weit-Weg-Unterwegs-Sein.
4 Kommentare
[…] Zum Weiterlesen: Auch Steffi schreibt in ihrem Blog Gipfelglück, wie es war, an der Tour durch das Lattengebirge teilzunehmen. Davon, die eigenen Grenzen kennenzulernen und sie zu überwinden. […]
Toller Bericht vom Schneeschuhwandern. Ich selbst habe mir auch immer wieder überlegt, ob ich es einmal ausprobieren sollte. Ich wandere immer nur im Bergstiefel und Schlitten, was natürlich entweder langweilige Wege oder aber sinnlose Schinderei bedeutet. Was mich immer abgeschreckt hat, dass diese Schneeschuhe so schrecklich Knacken und Klappern. Für mich ist die Stille in den Bergen so wichtig. Nur der Knirschen des Schnees kein Stockeinsatz und Plastik-Klappern … aber ich könnte auch nie mit so viele Menschen zusammen laufen … vermutlich entgeht mir da etwas …
Die vielen Menschen möchte ich wirklich auch nicht immer bei einer Tour dabei haben, da stimme ich dir zu. An die Geräusche der Schneeschuhe gewöhnt man sich, und Ruhe hat man trotzdem, je nachdem, wo man unterwegs ist. Und du kommst eben in Gegenden, wo es nur mit Bergstiefeln viel zu mühselig ist zu gehen, und damit automatisch zu ruhigeren Bergen. Probier es mal aus!
[…] Zum Weiterlesen: Auch Steffi schreibt in ihrem Blog Gipfelglück, wie es war, an der Tour durch das Lattengebirge teilzunehmen. Davon, die eigenen Grenzen kennenzulernen und sie zu überwinden. […]