Irgendwo und irgendwann muss man mit den großen Bergen, den hohen, schwierigen, ja mal anfangen. Den Bergen mit Gletschern, für die man Steigeisen braucht und eine richtige Seilschaft, für die man Ausbildungskurse beim Alpenverein macht, und die noch mehr als die anderen Berge in Erinnerung bleiben. Von den schweren ist die Marmolata, der höchste Punkt der Dolomiten, einer der einfachsten Berge – eine großartige Erfahrung diesen Sommer und die Erkenntnis, dass ich mich da sehr wohl fühle, an und auf den großen Bergen.
Es begann alles mit der 14-Berge-für-2014-Liste – und plötzlich sitzen wir im Auto Richtung Dolomiten, fahren in Nebel und Nieselregen das Grödnertal hoch, wärmen uns am Sellapass mit einem Kaffee auf, verlassen das dreisprachige Südtirol wieder und im Trentino, am Fedajastausee auf 2.053 Metern, startet die Tour zur Marmolata dann so richtig.
Marmolata ist übrigens (laut Wikipedia) der deutsche Name, Marmolada der italienische, und Marmoleda der ladinische. Und hat mit Marmelade so gar nichts zu tun, auch wenn ein skuriller Tscheche (oder so) uns dies auf dem Gletscher strahlend versichert hat. Seltsame Gesellen sind so einige unterwegs übrigens, solche, die sich auf der Hütte erst mal ein Seil ausleihen, solche, die sich in der Hütte auf dem Gaskocher ihr Abendessen kochen, und solche, die mit der skurillen Körbchenseilbahn vom Stausee zur Hütte und danach gleich wieder runter fahren.
Womit ich sagen will, dass vor dem Gipfel(glück) erst einmal die Hütte steht, genauer das Refugio Pian dei Fiacconi. Und wir sitzen den ganzen Samstag, den ganzen Samstag außer zwischen 8 und 10 Uhr morgens, den ganzen Samstag also in der Hütte, schauen ins Schneegestöber hinaus (was wir noch gemacht haben, ist hier nachzulesen) und träumen vom Gipfel. Denn so ist das mit den großen Bergen, da geht man nicht so einfach hin und rauf und wieder runter.
Bis dann der Sonntag morgen kommt. Und die Sonne von einem strahlend blauen Himmel herunter strahlt und einen erst mal sprachlos macht.
Das Frühstück im Refugio Pian dei Fiacconi ist italienisch – sensationell guter Kaffee an Zwieback, es ist 6 Uhr. Wir sind zu fünft, auch die anderen ca 20 Leute, die hier übernachtet haben, machen sich bereit, strahlen mit der Sonne um die Wette. Der Schnee und die Kälte des Vortags zwingen uns, direkt zum Gletscher zu gehen, der eigentlich geplante Aufstieg über den Westgrat-Klettersteig ist vereist und laut Hüttenwirt viel zu gefährlich.
Durch die zwei Nächte auf der Hütte auf 2.622 Metern sind wir sehr gut akklimatisiert und so gehen wir gemächlich über den Fels zum Beginn des Gletschers. Die Spur nach oben ist deutlich zu erkennen, es liegt aber auch viel mehr Schnee als am Morgen zuvor. Wir beratschlagen noch einmal die Reihenfolge, in der wir aufsteigen wollen, ziehen die Steigeisen an, seilen uns an und marschieren los. Es dauert eine Weile, bis wir ein Gehtempo gefunden haben, das allen passt und in dem alle gleichmäßig vorankommen. Die Spur allerdings ist fest, der Schnee griffig – und das Wetter und die Aussicht einfach nur perfekt.
Ein Stück gehen wir schnurgerade den Gletscher hinauf – nur mit den Frontalzacken der Steigeisen, dem Pickel als Stütze – anstrengend! Der Morgen könnte sonniger und himmelblauer und schneeweißer gar nicht sein!
Noch ein Stück flach den Hang querend…
… und wir gelangen an eine Stelle, an der es mir dann doch mulmig wird. Am Rand des Gletschers müssen wir eine Fels-Rinne hinauf, es gibt ein Stahlseil zum Festhalten, am Fels aber immer wieder Schnee- und Eisstellen. Was heißt: mit den Steigeisen hinaufklettern! Wie soll man mit ein paar Zacken nur genauso halt finden wie mit breiten Schuhsohlen?
Um es kurz zu machen – es geht. Es geht besser als gedacht. Wir gehen hier nicht mehr miteinander am Seil verbunden sondern jeder für sich. An einer Stelle – die sich später unfassbarerweise als Überhang herausstellen soll – verwünsche ich kurz das ganze Unterfangen, aber diese das-schaff-ich-nie-Stelle ist dann doch schon beim zweiten Anlauf geknackt. Vielleicht eine Viertelstunde später – gefühlt habe ich die ganze Zeit dabei die Luft angehalten – ist es geschafft, wir stehen vor einem weiten Schneefeld, es pfeift ein eisiger Wind und es nähern sich Wolken von allen Seiten, auf den hohen Bergen gibt es halt keine Garantie für Dauersonnenschein…
Allerdings geht es hier nicht mehr viel höher, weit kann es nicht mehr sein, und tatsächlich taucht bald das Gipfelkreuz auf! Noch ein letzter Schneehang, rechterhand die Gipfelhütte, und gegen 10 Uhr, 3 Stunden nach Abmarsch am Refugio Pian dei Fiacconi, haben wir den Punta Penia, den Hauptgipfel der Marmolata erreicht.
Hammer.
Außer uns noch vielleicht 10 andere Leute, die wir teilweise am Tag vorher schon auf der Hütte getroffen haben, und es ist praktisch Leute zu haben, die schnell ein Foto von uns machen.
Denn es ist wirklich furchtbar kalt, obwohl doch August ist, und Italien-Urlaub… Einen Schluck trinken, ein paar Brocken Energieriegel schlucken, noch ein Foto, und dann machen wir uns wieder auf den Rückweg, das Wetter sieht gar nicht mehr gut aus. Und die Tour ist erst zur Hälfte geschafft – sie ist erst vorbei, wenn wir alle fünf wieder an der Hütte ankommen.
Das Schneefeld geht noch locker, vom Beginn der Kletterstelle blicken wir auf den Gletscher – und sehen eine Unmenge von Menschen auf dem Weg nach oben! Eine Seilschaft hinter der anderen! Kein Wunder, der Wetterbericht für den Tag war grandios und gute Wetterfenster mag niemand auslassen.
Die Sonne hat am Fels schon viel von dem Schnee und Eis zum Tauen gebracht, mir ist ohne die Steigeisen wohler, dafür hole ich mein Klettersteigset aus dem Rucksack, was einen zwar etwas langsamer macht, die Sicherheit aber sehr erhöht, denn nun kommen auch Bergsteiger von unten und man muss sich aneinander vorbeizwängen. Nicht schön, aber dadurch, dass wir früh genug am Morgen losgegangen sind, erreichen wir den Fuß des Felses unbeschadet, seilen uns wieder an und marschieren den anderen Seilschaften entgegen.
Im Gletscher ist viel Schnee getaut und nun sind deutlich tiefe Spalten zu sehen. Wer auf der deutlich markierten Spur bleibt, hat nichts zu befürchten, aber wir beobachten tatsächlich Leute, die sich einfach so ihren eigenen Weg suchen. Wir haben zwar die Spaltenbergung noch einmal geübt, aber besser ist es, wenn diese Kenntnisse nicht zum Einsatz kommen müssen.
Der Gipfel der Marmolata ist in Wolken verschwunden, aber davon abgesehen ist das Wetter nicht wirklich schlecht geworden. Sogar Familien mit Kindern kommen uns inzwischen entgegen, Wanderer, die einfach mal einen Gletscher berühren wollen, und um 12 Uhr mittags ist der „Spuk“ vorbei, Steigeisen, Hüftgurt und Seil verschwinden wieder in den Rucksäcken.
Es ist surreal, 5 Stunden nach dem Aufbruch, 2 Stunden nach dem Gipfel, die übervolle Hütte wieder zu betreten. Kaffee zu bestellen. Nach oben Richtung Gletscher und Gipfel zu schauen. Langsam zu realisieren, welche tolle Tour das war, wie viel man in den fünf Stunden gelernt hat, wie viel Glück wir auch hatten, dass wir wohlbehalten an der Hütte zurück sind. Und zu wissen, dass die Marmolata erst der erste richtige hohe Berg von noch vielen, noch höheren war!
Die Marmolata ist der Berg, von dem mein Papa sein Leben lang mit leuchtenden Augen erzählt hat. Wie er in jungen Jahren, mit dilettantischer Ausrüstung, dafür ohne jegliche alpine Ausbildung und Erfahrung, bei einer Südtirol Fahrt mit den Kumpels einfach mal auf den Gipfel gestiegen ist. Sein schwarz-weiß-Foto mit dem Seil über der Schulter hatte ich bei der Tour die ganze Zeit im Hinterkopf.
Die Marmolata war ein wichtiger Berg 2014.
Mehr Berichte von unserer Tour: auf Hikr von Felix und von Rebecca in ihrem Blog
Herausgeberin des Gipfelglück Blogs – seit 2011 eine Sammlung von persönlichen Erfahrungen beim Wandern, Bergsteigen, Radlfahren und Reisen, im Chiemgau, in den Alpen, weltweit.
Mit einer Vorliebe für Höhenmeter, Kuchen, Kaffee, Bücher, Yoga und Weit-Weg-Unterwegs-Sein.
9 Kommentare
Hallo Steffi,
Erst mal herzlichen Glückwunsch zu dem tollen Erlebnis und dass alles gut gegangen ist. Der Bericht ist toll und wird uns sicher hilfreich sein ;)
Warum die Marmolata und warum überhaupt jetzt und so… Kann ich gut verstehen. Manchmal muss das eben so und nicht anders sein. Umso besser, dass es gut ging und gut war.
Allzeit weiterhin tolle Touren und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel!
Liebe Grüsse aus dem hessischen Bergland.
Danke Petra – viele Grüße und bis hoffentlich bald mal wieder!
Sehr stark. Kommt auf meine To-Hike-Liste :)
Ja, sehr zu empfehlen, Bernd!
super Steffi! schöner Beitrag. Klasse Tour!
Danke, Johanna!
Toller Bericht, macht mir Lust mich auch wieder an die hohen Berge zu wagen. Herzlichen Glückwunsch zum Gipfelglück.
Danke dir!
[…] Kurzbeschreibung: Das Gipfelkreuz auf der Marmolata, dem höchsten Berg der Dolomiten. Eine grandiose Tour über Gletscher und vereiste Felsen bis auf 3.343 Meter – zumindest was die Höhe angeht, das Highlight des Jahres 2014. » Zum Bericht […]