Häuselhorn? Wagendrischlhorn? Weitschartenkopf? Das mächtige Hochplateau der Reiteralm (oder Reiteralpe) ist irgendwie ein Gebirge mit Tarnkappe. Mit mächtigen Wänden, eiförmig, an allen Seiten steil abfallend, liegt die Reiteralm seltsam eingequetscht in einem Eck zwischen Berchtesgadener und Chiemgauer Alpen, zwischen Lofer und Bad Reichenhall, teils in Bayern, teils in Salzburg.
Berühmte Gipfel der Reiter Alm sind (ungefähr in aufsteigender Schwierigkeit) Weitschartenkopf, Wagendrischelhorn, Häuselhorn und Stadelhorn, ein paar andere dazwischen. Die Gipfel an den Rändern des Plateaus umgeben eine riesige Hochalmfläche, die alles andere als platt ist, man findet hier die Neue Traunsteiner Hütte und ein großes Truppenübungsgelände der Bundeswehr, weshalb man immer wieder Soldaten in voller oder auch mal einfacher Montur begegnet, samt Mulis. Kaum jemand aus der Münchner Ecke scheint sie auf dem Schirm zu haben. Ist die Reiteralm zu weit für eine Tagestour, zu unbekannt für eine längere Tour?
Ich selber wurde bei meiner Bergtour aufs Kammerlinghorn zum ersten Mal bewusst auf die Reiteralm aufmerksam, von der Bindalm kam zum ersten Mal der “da muss ich hin” Gedanke. Und an zwei goldenen perfekten Herbsttagen ein Jahr später war es dann so weit, Großer Weitschartenkopf, Großer Bruder und das wundervoll anspruchsvolle Häuselhorn waren endlich an der Reihe.
Lieblingsgipfel auf der Reiteralm: das Häuselhorn (2.284 m)
Die Fotopausen für die wunderbare Herbst-Morgen-Stimmung abgezogen sind wir schon eine halbe Stunde unterwegs, mit einigen Hügel-Höhenmetern, zurück auf Höhe der Traunsteiner Hütte, als es endlich merklich steiler wird und es endlich “so richtig” hinauf zum Häuselhorn geht.
Die Rossgasse ist nicht schön, ein steiler grasiger Pfad durch Wald und Latschen, der uns zügig Richtung Gipfel bringt. Elendig steil, aber unausweichlich, der einzige Zustieg vom Plateau zum Fels.
Nach der Rossgasse verschwindet das grün, es wird felsig und geröllig, in leichter Kletterei geht es immer weiter nach oben. Richtig schöne Genuss-Kletterei, sehr einsam, nur einmal sehen wir weit unter uns, eine Gruppe Berggeher. Unbeschreibliche Naturnähe und Berggenuss für uns.
Nach rund 3 Stunden haben wir es geschafft, das Gipfelkreuz des Großen Häuselhorns ist erreicht. Was für ein herrlicher Morgen! Gegenüber auf dem Stadelhorn und auf dem Wagendrischelhorn erkennt man jeweils zwei, drei kleine Menschlein und glaubt das Grinsen in deren Gesichtern zu erkennen. Alle Gruppen haben ihren Gipfel für sich, aber dadurch, dass alle gleichzeitig am Gipfel sind, besteht so etwas wie eine Gemeinschaft, ein für die anderen Mitfreuen an diesem Morgen.
Der erste Teil des Abstiegs flutscht dann so richtig, selbst die kniffligen Kletterstellen lassen sich viel einfacher absteigen als befürchtet. Man muss sich halt konzentrieren, darf sich nicht versteigen, und einfach ruhig eine Stelle nach der anderen angehen. Diese Bergtour aufs Häuselhorn ist ideal für erfahrene Berggeher, die hier gut Erfahrung für schwierigere Bergtouren machen können, sicherer werden, Selbstbewusstsein für künftige schwierigere Touren sammeln können.
Die anspruchsvollen Stellen sind geschafft, als sich die ersten Wolken nähern. Klarer Fall von alles richtig gemacht, aber trocken runter kommen wäre schön auch toll. Die Rossgasse zieht sich. Die hügelige Latschen-Wiesen-Hopperei zieht sich. Der Weg zum Schrecksattel und von dort hinunter nach Oberjettenberg, kein Kommentar. Aber dazwischen liegt die Neue Traunsteiner Hütte mit einem Stück Kuchen auf der Terrasse. Der Blick Richtung Häuselhorn? Eine andere, graue, nasse, unangenehme Seite des Herbstes. In Erinnerung bleibt später aber vor allem der Moment des Gipfelglücks und die schönen Seiten des Herbstes.
Auf- und Abstieg – über den Schrecksattel auf die Reiteralm
Der Schrecksattel (1.620m) trägt seinen Namen aus gutem Grund. Vermutlich wird der Weg vom Parkplatz Oberjettenberg (auf 643m, zwischen Ramsau bei Berchtesgaden und Schneizlreuth) zum Sattel hinauf am häufigsten für den Aufstieg zur Reiteralm genutzt – und erst, wenn man diese zähen fast 1.000 Hm erledigt hat, fängt das eigentliche Vergnügen erst an. Der größte Teil des Weges verläuft durch Wald ohne allzu viel Aussicht. Kontinuierlich geht es bergauf, ein kurzes Stück einmal wird der Hang gequert unter den mächtigen Nordwänden der Reiteralm. Dort lenken auch eine Höhle mit wackligem Dach und eine Marienfigur mal ein wenig vom waldigen eintönigen Aufstieg ab.
Übrigens…am Holzhaufen mit den Holzscheiten und nur halb lesbaren Schildern einfach vorbei gehen! Das Holz ist für die Alte Traunsteiner Hütte, die Selbstversorgerhütte, nicht etwa die Neue, hier gibt es kein Danke wie etwa auf dem Reichenhaller Haus oder am Schwaigerhaus.
Das Schreckliche am Schrecksattel: es wird danach erst einmal nicht besser. Ein Betonweg erwartet dich, in elendem Auf und Ab. Unangenehm und anstrengend, wer braucht schon Betonwege am Berg? (Antwort: das hier stationierte Militär, die Bauern, Senner und Hüttenteams) Rund 30 min nach dem Schrecksattel hat man dann die Neue Traunsteiner Hütte erreicht auf 1.560m, der Beton ist vorbei, die Terrasse strahlt dir entgegen und endlich kannst du einen ersten Blick auf einige der angestrebten Gipfel werfen. Der Schrecken des Schrecksattels ist erst einmal vergessen.
Natürlich erwartet einen der gleiche Schrecken im Abstieg, erst das zähe auf und ab auf dem Betonweg – immerhin lag da plötzlich eine Kreuzotter vor uns…
…dann der Abstieg durch den Wald, auf den man wirklich keine Lust mehr hat. Aber es hilft ja nix…
Hüttentour Reiteralm: die Traunsteiner Hütte (1.560m)
Ohne die Traunsteiner Hütte wären viele Gipfelbesteigungen auf der Reiteralm nur schwer möglich, zu weit alles, zu weitläufig. Die Lage der Hütte ist herrlich, sehr weit weg von der Zivilisation, über den Dingen, wenn man auch nichts davon bewusst sieht und wenn man die Bundeswehrpräsenz mal außen vor lässt. Aber wirkliche Lieblingshütten-Atmosphäre kommt bei der Traunsteiner Hütte leider nicht auf. Warum, ist schwer zu sagen. Die Terrasse ist groß und sonnig, die Stube mit Kachelofen gemütlich, das Essen inkl dem Kuchen gut, die Zimmer „normal“ für eine Berghütte, mit knapp 100 Betten weder besonders groß noch klein.
Es stößt auf, wenn selbst AV Mitglieder ihr mitgebrachtes Essen nur an bestimmten Tischen verzehren dürfen – wenn die Hälfte der Tische eh leer ist und für eng zusammen quetschen keine Notwendigkeit besteht. Und nach einem Rüffel deswegen kauft auch niemand irgendetwas zusätzliches in der Hütte ein…
Die Lage der Hütte ist ihr Kapital, am frühen Morgen über die taunasse Wiese im leuchtenden Herbstlicht zum Häuselhorn aufbrechen, ausgeruht und voller Energie, das geht nur ohne Schrecksattel und mit Traunsteiner Hütte und bleibt unvergesslich.
Hüttentour Reiteralm: Großer Weitschartenkopf (1.979m) und Großer Bruder (1.867m)
Großer Weitschartenkopf und Großer Bruder sind zwei Nachmittagsgipfel, wenn man rechtzeitig am Parkplatz los gestiefelt ist, in der Hütte eingecheckt und sich auf der Terrasse mit einem Skiwasser vom Schrecksattel-Schrecken erholt hat. Der Beschilderung auf einfachem Wege folgend, durch Latschenwälder geht es im Grunde von der Hütte rechts gesehen, nach Westen auf die Bergkette, die hier die Reiteralm begrenzt. Vom Großen Weitschartenkopf fallen die Wände steil nach Schneizlreuth ab, in Richtung der Straße nach Lofer, mit weitem Blick auf die Chiemgauer Berge vor einem (mit Sonntagshorn, Steinplatte und ihren Nachbarn) und die weite Hochfläche der Reiteralm hinter einem. Der man jetzt ein wenig das Hochplateau ansieht. Manch einer legt sich in der warmen Herbstsonne zu einem Nickerchen ins Gras.
Am Grat entlang, durch mehr enge Latschengassen geht es dann 45 min lang südwestlich weiter, bis man die Berggruppe namens Drei Brüder erreicht. Der Blick vom Großen Bruder wird wie magnetisch von den Loferer Steinbergen angezogen. Das Herbstlicht wird von Minute zu Minute weicher und sanfter.
Zum späten Nachmittag beginnt die Landschaft noch herbstlicher zu leuchten. Im Auf und Ab zurück zur Hütte, durch Latschen und über Almwiesen, verwundert vor allem eins: es sind nur eine Handvoll anderer Berggeher auf der Reiteralm unterwegs, obwohl es vom Wetter nicht besser sein könnte.
Von den Gipfeln der Reiteralm blickst du beeindruckt, demütig und erhaben auf Chiemgau, Berchtesgadener Land und Pinzgau hinunter, auf der Almfläche merkst du nichts von der Welt ringsum. Genießt einfach die Pfade und Steige auf diesem herrlichen Fleckchen Erde. In beeindruckender Einsamkeit. Voller Schönheit. Und das mehr oder weniger vor der Haustür… Hier war ich sicher nicht zum letzten Male.
Alle Höhenangaben aus der Broschüre des DAV zur Neuen Traunsteiner Hütte
Datum der Tour: 8. und 9. September 2017
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Herausgeberin des Gipfelglück Blogs – seit 2011 eine Sammlung von persönlichen Erfahrungen beim Wandern, Bergsteigen, Radlfahren und Reisen, im Chiemgau, in den Alpen, weltweit.
Mit einer Vorliebe für Höhenmeter, Kuchen, Kaffee, Bücher, Yoga und Weit-Weg-Unterwegs-Sein.