Eine Hüttentour auf dem Karnischen Höhenweg mag für deine Füße einfach eine Hüttentour sein, eine Gratwanderung zwischen Österreich und Italien. Für deinen Kopf ist es komplizierter, er wird permanent mit der grausamen Vergangenheit des ersten Weltkriegs konfrontiert und gleichzeitig mit Ausblicken auf eine fantastische Bergwelt. Auch der Gipfel der großen Kinigat 2.689 m ist nicht wie jeder andere Gipfel. Zwischen Überresten von Schützengräben steht ein besonderes Gipfelkreuz.
Der Karnische Höhenweg geht eigentlich über 8 bis 11 Etappen über 155 km und 8.642 Hm. Mein Erfahrungsbericht hier handelt lediglich vom Abschnitt zwischen Filmoor-Standschützenhütte und Obstansersee Hütte- wir landeten hier mehr durch Zufall. Schneefall in Südtirol erforderte schnelles Umplanen, der Wetterbericht für Osttirol passte und so ging es erst in die Hütten des Karnischen Höhenwegs und von dort ins Südtiroler Wellnesshotel im Ridnauntal. Hier kannst du nachlesen, was wir dort erlebten, und was wir eigentlich an diesen Augusttagen geplant hatten.
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1.Etappe in den Karnischen Alpen: Aufstieg zur Filmoor-Standschützenhütte
Beginnen wir mit einem Satz zum oben angesprochenen Wetterbericht. Er war zumindest nicht so schlimm wie in anderen Teilen der Alpen. Nur ein bisschen schlimm. Beispielsweise erwischte uns am ersten Tag ein Graupelschauer. Ich hatte zum Glück einen Regenschirm dabei. Und der Schauer dauerte nur ca. eine Viertelstunde (kam uns aber wie eine Ewigkeit vor…).
Aber fangen wir von vorne an. Start dieser Tour ist in Kartitsch im Tiroler Gailtal, einem ruhigen Tal der Gailtaler Alpen, gleich ums Eck vom berühmten Pustertal. Im Ortsteil Sulzenbach auf 1.515 m gibt es einen Parkplatz, einen Gasthof und eine Bushaltestelle, vom Parkplatz aus blickt man auf die Große Kinigat und den Gratabschnitt der Karnischen Alpen, den wir in den kommenden Tagen gehen wollen.
Ca 3,5 Stunden dauert es, bis wir von Sulzenbach durch das Erschbaumer Tal hinauf zum Kamm gelangen. 3,5 Stunden nach Abmarsch stehen wir am Hintersattel auf 2.406m Meter, sehen zum ersten Mal die Filmoor Standschützenhütte ein kleines Stück unter uns, sehen nach Italien hinüber (Belluno und Südtirol, die Sextener Dolomiten liegen uns gegenüber).
Der Weg hierhin ist erst recht flach, durch Wald und am Erschbaumer Bach entlang, dann steiler durch Sträucher und Beeren-Büsche bis zur ersten Pause an der winzigen Tscharrhütte (1.935m) .
Von hier über weite Wiesen-Flächen in großen Serpentinen unterhalb der Großen Kinigat entlang immer Richtung Kamm. In diesem Bereich erwischt uns auch der Graupelschauer, unangenehm aber gerade noch erträglich durch meinen Regenschirm. Einen Ort zum Unterstellen gibt es nicht, seufzend, grummelnd, schimpfend weitergehen ist die einzige Möglichkeit.
Andere Menschen? Sehen wir kaum. Einer taucht ab und an hoch über uns im Nebel an der Großen Kinigat auf, vermutlich auf dem Klettersteig unterwegs. Mehr Gesellschaft bekommen wir dann erst an der Filmoor Standschützenhütte 2.350 m. Sie duckt sich in eine große Mulde am Kamm, besteht aus einem Schlafgebäude mit Platz für 14 Leute und einem kaum größeren Gebäude mit einer Stube mit zwei großen Tischen, offener Küche und meterlangen Bücherbrettern. Beschriftete Bücherregale, wo neben Romanen, Südtirol Bildbänden und Blumen-Bestimmungsbüchern auch ein Meter 1. Weltkrieg untergebracht ist.
Und hier hört es dann auch auf, dass ich über einen Graupelschauer jammere. Ich lese Berichte über die Kämpfe im Krieg rund um diese Hütte, lese von Schützengräben, Belagerung, vom Wacheschieben, künstlichen Steinlawinen, Granaten und Maschinengewehrfeuer auf der Großen Kinigat. Jeder Meter Berg entlang des Karnischen Kamms war hart umkämpft, Italiener und Österreicher führten hier einen brutalen Stellungskrieg, bekamen Unterstützung von tapferen Bayern und Bauernbuben aus den Tälern. Brutale Beschreibungen, dennoch kann ich nicht aufhören zu lesen, es klingt alles so unvorstellbar schlimm.
Hart für den Kopf, wenn man eigentlich nur einen ruhigen Hüttenabend genießen möchte, gemütlich auf 2.350 m. Die Hütte gehört dem Alpenverein Austria und wurde 1977 gebaut. Das Essen ist zwar fantastisch (ich hatte Polenta mit Ziegenkäse überbacken) aber die Portionen sind recht klein, am besten bestellt man sich noch eine Suppe dazu oder isst noch ein paar Müsliriegel zum Nachtisch.
Vor dem Schlafen muss man die 10 m zum Schlafhaus hinübergehen. Der Himmel ist klar, alles ist friedlich und ruhig, doch die Gedanken wandern über 100 Jahre zurück. Du schaust hinauf zum Sternenhimmel über der Großen Kinigat und denkst an den Bericht der Winternacht, in der sich die einen anschlichen um die anderen zu überwältigen, zu töten und den Berg für ihr Land in Besitz zu nehmen. Du versuchst die Gedanken zurück in die Gegenwart zu holen, in den Frieden, die Ruhe, damit du schlafen kannst.
In der Nacht wache ich durch einen lauten Knall auf. Aber es ist nur so, dass einer der im Zimmer schlafenden Italiener aus dem Bett gefallen ist.
2.Etappe in den Karnischen Alpen: über die Große Kinigat 2.689 m zur Obstansersee Hütte
Der Morgen beginnt wolkenlos und strahlend, in der Hütte gibt es ein Frühstücksbuffet mit Müsli und Äpfeln und Kaffee.
Wir werden dem Grat in westlicher Richtung folgen, zunächst jedoch geht es hinauf zum Gipfel der Großen Kinigat. Die Kriegsberichte hängen fest im Kopf, doch an diesem sonnigen Morgen ist es noch leicht, sie nach hinten zu drängen. Der Blick geht weit, unseren Grat entlang, zu den Sextener Dolomiten links von uns, zu den Gletschern der Hohen Taunern mit Großvenediger und Großglockner rechts von uns.
Der Weg zur Großen Kinigat geht schnurgerade durch ein Schotterfeld hinauf, es sieht steil und anstrengend aus, ist aber halb so wild. Nach einer Weile endet der Schotter, es wird felsiger und steiler, der Weg ist seilversichert.
Neben dem Weg tauchen die ersten Steinmauern und Gänge auf – Kriegsüberbleibsel. Schützengräben, Unterschlupfe der Soldaten. Ein mulmiges Gefühl. Wir erreichen ein Plateau, sehen zum ersten Mal das riesige Europa Kreuz über uns. Ein paar Schneefelder, eine Kriegsgedenkstätte, Schützengräben.
Europakreuz und Große Kinigat 2.689m
Ein paar Minuten später stehen wir am Gipfel der Großen Kinigat auf 2.689 m, der klare Himmel zieht sich immer mehr zu. Wir stehen an einem besonderen Gipfelkreuz – dem Europakreuz. Es trägt die Inschrift “Nie wieder Krieg”. Wie ein Mantra sage ich diesen Satz immer wieder in meinem Kopf vor mich hin, hier auf dem prächtigen Gipfel mit der herrlichen Sicht, nur wir zwei, so kurz nach dem Frühstück. Den ganzen Tag lässt mich der Satz nicht los.
Der Gipfel befindet sich heute auf der Grenze zwischen Osttirol und Belluno, natürlich hat er auch einen italienischen Namen, Monte Cavallino. Aber was sind schon Grenzen, auf einem Gipfel? Wunderschöne Berge und Täler in allen Richtungen. Kleine Dörfer hier und da. Die Österreicher und die Italiener zusammen haben das Europa Kreuz errichtet und eingeweiht, 1979. Die Bürgermeister brachten die Nie-wieder-Krieg-Tafel an, noch heute wird jeden Sommer eine gemeinsame Bergmesse gefeiert. Zitat Wikipedia: Das Europakreuz wurde zu einem Symbol des wiedergefundenen Friedens, der einst verfeindeten Volksgruppen.
Zurück am Grat starten wir nun auf dem Karnischen Höhenweg, dem Friedensweg nach Westen. Stetig kommen uns Wanderer entgegen, auf ihrem Weg von der Obstansersee Hütte meist zur Porzehütte. Die Filmoor Standschützenhütte ist oft nur ein Stop zum Mittagessen.
Auf der Pfannspitze 2.678m
Es geht beständig auf und ab, manchmal leicht ausgesetzt, immer wieder an Schützengräben vorbei. Die grauen Steine erscheinen im Nebel noch krasser. Der Nebel kommt und geht, der Weg ist allerdings überall gut zu erkennen und gut markiert. Mal hört man ein Murmeltier pfeifen, mal bewegen sich tief unten ein paar Kühe. Wir erreichen unseren zweiten Gipfel, die Pfannspitze auf 2.678 m, und sehen tief unter uns dann unser Ziel für den Tag, die Obstanserseehütte, direkt am Ufer des Obstanser Sees. Die Landschaft ähnelt Schottland, oder Skandinavien, ein windzerzauster Talkessel, mit Nebelschwaden, grasig und feucht.
Im Abstieg vom Obstanser Sattel kommen wir noch an einem einsamen Soldatenfriedhof vorbei. Ein schöner Ort zum Gedenken, Nie wieder Krieg, Nachdenken über die Sinnlosigkeit der Kämpfe der Gefallenen, die verlustreichen umkämpften wenigen Meter von einem Schützengraben zum nächsten.
Früh am Nachmittag sind wir bereits auf der Obstansersee Hütte 2.304m und zelebrieren einfach einmal die Faulheit. Essen Kuchen und Kaiserschmarrn, lesen, spielen Karten, schauen auf den See und seine Spiegelungen.
Immer mehr Wanderer kommen dazu, sie frieren, sind nassgeregnet, froh, die Hütte erreicht zu haben. Tomatenknödl gibt es abends, mit Salat, äußerst lecker und genug um satt zu werden. Und gleichzeitig freue ich mich auf die kommenden beiden Abende, wo uns unser Vier-Sterne-Hotel verwöhnen wird bis die Bäuche platzen. Meine Lieblingskombination, Hütte & Hotel! (Zum Weiterlesen: wir ließen uns im Hotel Gassenhof im Ridnauntal in Südtirol verwöhnen.)
3.Etappe in den Karnischen Alpen: Abstieg über den Obstanser Boden ins Tal nach Kartitsch
Also am nächsten Morgen dann: abwärts. Zunächst über Wiesen-Wege, immer mal ein Blick zurück auf den Kammverlauf, nach links zur Eishöhle, hinauf zum blauen Himmel. Nach ca 1/2 Stunde erreichen wir den Obstanser Boden auf 1.962 m, eine Hochebene mit wunderschönen alten Almhütten und mit einem seltsamen Kunstwerk. Da hat jemand riesengroß eine Österreichkarte auf die Wiese “gemalt” und wichtige Orte mit Schildern markiert. München und Wien, Watzmann und Wörthersee. Die Nachbarländer Österreichs sind durch ihre Flaggen gekennzeichnet. Kreativ und gleichzeitig bizarr.
Genug gewundert und bewundert wandern wir weiter und kommen Minuten später in eine völlig andere Landschaft. Statt auf einer weiten flachen Almwiese befinden wir uns in einer Steilwand, auf einem von Soldaten im 1. Weltkrieg angelegten Weg. Nicht weit entfernt stürzt ein Wasserfall die Wand herunter.
Der restliche Weg zieht sich dann, wie leider so oft. Durchs grüne, wild bewachsene Winklertal bis zum Sportplatz von Kartitsch, dann die letzten 150 Hm hinauf nach Sulzenbach, wo das Auto steht.
Abschließende Hinweise
Ich hatte während der Tour so gut wie gar keinen Handyempfang und wanderte drei Tage komplett im Flugmodus. In der Obstansersee Hütte kann man “WLAN kaufen”, muss man aber nicht. Zurück am Parkplatz lohnt es sich, bei der freundlichen Wirtin des Klammerwirts einen Kaffee zu trinken und dort den Flugmodus wieder vorsichtig zu deaktivieren (auch wenn dann die Arbeit eine Nachricht schickt und fragt ob du am Sonntag vielleicht Zeit und Lust zum Arbeiten hast. Dann wünschst du dich schnell in den Flugmodus zurück oder dreißig Jahre in die Vergangenheit, als Menschen im Urlaub einfach nicht erreichbar waren).
Für einen noch besseren Kaffee und noch mehr Zivilisationsschock empfehle ich dir die Fahrt ins Tal und einen Besuch bei der Loacker Genusswelt in Heinfels. Toller Kuchen, toller Kaffee, ein kleines Loacker-Museum und unfassbar viele Menschen im Loacker-Waffel-Kaufrausch. Dort ist dein Kopf dann wieder sehr in der Gegenwart angekommen und blickt höchstens kopfschüttelnd Richtung Berge zurück. Nie wieder Krieg!
Datum der Tour: 2. bis 4. September 2018
Alle Höhenangaben aus der Kompass Wanderkarte 47 Lienzer Dolomiten Lesachtal. Hier kannst du die Kompass Karte bei Amazon anschauen und bestellen.*
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Herausgeberin des Gipfelglück Blogs – seit 2011 eine Sammlung von persönlichen Erfahrungen beim Wandern, Bergsteigen, Radlfahren und Reisen, im Chiemgau, in den Alpen, weltweit.
Mit einer Vorliebe für Höhenmeter, Kuchen, Kaffee, Bücher, Yoga und Weit-Weg-Unterwegs-Sein.
1 Kommentar
[…] ich euch sagen. Die Augen wissen eigentlich kaum, wo sie zuerst hinschauen sollen. Geradeaus zum Karnischen Hauptkamm, dort wo wir letzten Herbst so ein tolles Wochenende hatten? Oder zurück, zu den Felsgipfeln der […]