Die Wanderung auf den Geigelstein im Chiemgau war eine mit typischem April-Wetter, und eigentlich ziemlich toll im Nachhinein. Doch die letzten 20 Minuten bis zum Gipfel hatte ich nur einen Gedanken – WARUM?
Warum muss ich unbedingt auf den Gipfel des Berges, wo doch schon 400 m darunter klar ist, dass es nur noch durch Nebel und Wolken gehen wird, über Matsch- und Schneewege, dass man vom Gipfel nichts aber auch gar nichts sehen wird.
Dass die Hütte mit warmem Tee und heißer Suppe doch viel näher liegt, eine Tour doch auch ohne Gipfel toll sein kann, der Chiemgau ja nicht aus der Welt ist und man bei schönem Wetter ja leicht noch mal wieder kommen kann. Keine Aussicht auf Aussicht, keine tollen Fotos, warum stapft man dann Schritt für Schritt dahin, wo man ein Gipfelkreuz vermutet? Rundherum nur manchmal Stimmen von anderen Leuten meistens aber nichts? Warum geht man bei so etwas weiter?
Warum?
Ich könnte ca. 42 Gründe aufzählen, warum.
1. Meine Begleiterin Sonya wollte nicht umdrehen und ich wollte nicht die sein, die es vorschlägt.
2. Ich wollte keinen Blog-Artikel übers Umdrehen schreiben.
3. Dieser blöde Spruch vom „Bei gutem Wetter kanns jeder“…
4. bis 42. Die winzige Hoffnung auf einen Wetterumschwung und dass doch noch alles gut wird.
Und um es mal vorweg zu nehmen, ungefähr eine Stunde nach Erreichen des Geigelstein-Gipfels, nach Ausharren und Abstieg sah es dann tatsächlich so aus am Geigelstein:
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Aber fangen wir von vorne an. Der Geigelstein ist mit 1.808 Metern der zweithöchste Gipfel im Chiemgau und für seine Frühlingsblumen-Pracht bekannt. Er stand schon lange auf meiner Wunschliste und wollte nun endlich einmal abgehakt werden.
Anfahrt ist über die Salzburger Autobahn bis Frasdorf, kurz vor Sachrang gibt es zwei Parkplätze, der rechts kostet Geld, der links ist kostenlos, das mal als Pro Tipp!
Von dem ganzen Nebel-Elend ist unten noch nichts zu spüren, es geht an einem Wasserfall vorbei gleich mal recht steil bergauf, durch den Wald. Den angekündigten Fahrweg kreuzt man zum Glück nur manchmal, über den Jägersteig geht es auf schmalem Pfad durch Laub, über Wurzeln und später herrliche Almwiesen Richtung Gipfel. Bei Sonne und noch mehr Blumen sicher noch toller, in zwei bis drei Wochen, wenn es nicht gerade weiter schneit, sicher der Wahnsinn.
Der Wetterbericht hatte sich besserndes Wetter angekündigt, doch der Blick fällt erst einmal auf einen total wolkenverhangenen Geigelstein. Viele Wanderer sind nicht unterwegs, auch die vielen Almhütten, an denen wir vorbei kommen, sind ziemlich verlassen.
Eine Wegkreuzung, rechts geht es zur Priener Hütte, links am Hang hinein in den Nebel. Vor uns fällt eine andere Wanderin in den Matsch. Zwei Jungs hetzen mit kurzen Hosen und langen Unterhosen vorbei.
Ich warte auf den Satz vom Umdrehen.
Da er nicht kommt, packe ich meine Stöcke aus, setze die Mütze auf, ziehe den Reißverschluss der Jacke höher, stapfe weiter Richtung nichts. Hoffe, dass wir einfach bald oben sind, ein Beweisfoto knipsen und uns schnell an den Abstieg machen. Man sieht nichts, weder rechts noch links noch oben. Ab und an ein paar Schatten, die wohl Latschen sind – angeblich ist der Gipfelanstieg im Sommer vor Hitze kaum zu ertragen. Ich habe Fantasien von heißer Schokolade am Kaminfeuer. Der Schlamm ist irgendwann in Schnee übergegangen und lässt sich wenigstens relativ gut gehen.
Am Gipfel weht es eisig wie im tiefsten Winter. Statt einer gemütlich-genüsslichen Pause wie am Wildalpjoch würge ich einen halben Müsliriegel hinunter, suche das Gipfelkreuz im Nebel, schreibe eine jammernde Widmung ins Gipfelbuch*, mache Beweisfotos. Die anderen Wanderer sind schon längst auf dem Weg zur Hütte, Sonya und ich machen noch schnell ein Selfie.
Und da passiert es.
Für einen Bruchteil einer Minute sieht man plötzlich die Umgebung!
Alles zwar weiß-grau mit dunkelgrauen Schatten, aber man sieht den Hang, und den Weg den wir gekommen sind, und die Nachbarberge. Kaum sind meine Jubel-Jodler verklungen, ist der Spuk schon wieder vorbei. Aber in dem Moment ist schon klar, dass sich die Plackerei gelohnt hat.
Und es reißt immer weiter auf, der Wind ist noch immer eisig, aber wen interessiert das in dem Moment, wo plötzlich Aussicht da ist?
Abstieg vom Geigelstein und Priener Hütte
Spannend ist dann der Weg nach unten, weil man plötzlich sieht, wo man hingeht, wo der Weg verläuft, welche schöne Form der Berg hinter einem hat. Es ist kaum zu glauben, dass der Himmel plötzlich blau ist und wir tatsächlich davon reden, ob man an der Hütte wohl draußen sitzen kann. Was wir dann aber doch sein lassen, die Priener Hütte ist groß aber sehr gemütlich, die Lust auf heiße Suppe hat sich mit dem Nebel in Lust aufgelöst und ich bestelle meine Lieblings-Hütten-Kombination, ein kühles alkoholfreies Weißbier und Rhabarberkuchen.
Draußen regnet es vor sich hin, es ist ja April. Und deswegen ist es auch wieder trocken, als wir uns an die restlichen 700 m Abstieg machen. Wir wollen die Fahrweg nehmen um schneller voran zu kommen, den ganzen Weg bergauf musste man sich bei Wurzeln und Schlamm doch sehr auf jeden Schritt konzentrieren, aber der Fahrweg ist, wenn man ehrlich ist, ganz schön langweilig…
Zum Glück biegt dann der Grünbodensteig ab, wir können die ersten Blicke aufs Tal werfen, kommen an einer uns bekannten Forsthütte vorbei, am Wasserfall und erreichen bei strahlendem Sonnenschein den Parkplatz. Und holen auf einem Baumstamm das verpasste Gipfel-Picknick nach.
Fazit: es gibt manchmal Gründe eine Tour abzubrechen, bei Gewitter, Dunkelheit, anderen Gefahren, aber ein bisschen Nebel und mimimi gehören nicht dazu! Der Weg auf den Geigelstein hat mir – von gewissen 20 Minuten abgesehen – wirklich gut gefallen, sehr abwechslungsreich, sehr schön zu gehen. Und so undurchdringlich der Nebel auch scheinen mag, Gipfelglück ist manchmal nur ein paar Windböen entfernt. Und die Frage nach dem Sinn?
The answer, my friends, is blowing in the wind!
*Hier war mal ein Cache, der ist verschwunden, deswegen zählt der Eintrag ins Gipfelbuch als Fund!
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Eine Sommer-Variante: von Schleching aus auf den Geigelstein und den Weitlahnerkopf
Herausgeberin des Gipfelglück Blogs – seit 2011 eine Sammlung von persönlichen Erfahrungen beim Wandern, Bergsteigen, Radlfahren und Reisen, im Chiemgau, in den Alpen, weltweit.
Mit einer Vorliebe für Höhenmeter, Kuchen, Kaffee, Bücher, Yoga und Weit-Weg-Unterwegs-Sein.
27 Kommentare
Bravo! Durchgezogen! Und dieses nicht Umdrehen wollen, können …. (solange keine Gefahr besteht), hat ja auch einen Namen, der gut zur dir passt: Gipfelfieber! Es ist also ein Virus, Steffi :-)
Und falls du mal umkehrst, weil’s happig wird – hat Eugen Roth was für dich vorbereitet:
Es krachte dumpf im Eise: Wum!
Wir kehrten klugerweise um,
Als in dem grausen Faltenspiel
Fast einer in die Spalten fiel.
Ihr könnt Euch Eure Witze sparen,
Dass wir nicht auf dem Gipfel waren:
Hat einer echten Mut, beweist er’n
Oft mehr durch Gipfelwut-bemeistern!
Liebe Grüße! :-)
Ein Gedicht, wie toll :-)))
Schönes Gedicht gell? Dachte mir, das passt jetzt irgendwie dazu …. obwohl du ja ganz oben warst. Frohe Ostern usw!
Irgendwann wird es noch besser passen, dann werde ich mich daran erinnern :)
Sehr tapfer von Dir! Bloß niemals dem „mimimi“ nachgeben! :) Ich hatte auf dem Geigelstein im letzten Herbst etwas mehr Glück mit dem Wetter >> http://fraeulein-draussen.de/ Aber schöne Berge kann sowieso einfach nichts entstellen!
Boah, was für ein Wetter. Aber man muss den Nebel kennen um so was richtig genießen zu können ;-)
Alles richtig gemacht! ;-)
Danke Steve :)
Ich kann mich den Vorschreibern nur anschließen: Alles richtig gemacht, immer tapfer weiter. Es geht doch nichts über dieses stolze Gefühl, wenn man endlich oben steht :-)
Wenn man oben steht und die Sonne kommt raus :-) Im Nebel fand ichs einfach nur furchtbar…
[…] einen oder anderen Sonnenstrahl hätte wohl auch „Gipfelglück“ bei der Besteigung des Geigelsteins im Chiemgau gebrauchen […]
Das denke ich auch ab und an auch, wenn das Wetter trüb ist und ich nicht so recht lustig bin, bei trüben Wetter loszuziehen. Aber während der Tour freue ich mich doch draußen unterwegs zu sein.
Und wenn dann auch noch auf einmal die dichten Wolken, wie bei dir, aufreißen, ist alles scheeeee! :)
Schöner Bericht!
Grüüße Conny
Der innere Schweinehund lauert überall ;-) Viele Grüße!
Hallo Stefanie,
ein wunderschöner Bericht und es zeigt das es sich oft lohnt durchzuhalten auch wenn man sich oft fragt warum.
lg Bernd
Danke dir, und schöne Feiertage!
Weil es ein Hauch von Abenteuer ist.
Weil es eine Herausforderung ist.
Weil Du die Situation einschätzen konntest.
Weil es spannend ist.
Weil es immer einen Weg gibt.
Weil Du es kannst!
Boah, super Argumente, Alex, danke :-)
Alles richtig gemacht. Denn wenn ihr nicht bis zum Gipfel gegangen wärt, hättet ihr nachher ein richtig, richtig schlechtes Gefühl gehabt. Garantiert.
Da hast du 100% recht, Jens!
[…] eine Bergwanderung abzubrechen. Warum das so ist, erzählt sie Dir im Zusammenhang mit ihrer letzten Tour auf den Geigelstein. Und ja, ich kann es nachvollziehen, bin ich doch auch schon ohne noch groß was zu sehen, auf das […]
Geigelstein – schön dass ihr durchgehalten habt. Einer meine Lieblingstouren. Allerdings hast du uns neugierig gemacht… was ist in diesen „gewissen 20 Minuten“ passiert? :-)
Es war einfach nur Nebel und Wolken, null Sicht, kalt und eklig. Einfach sinnlos…
Warum weitergehen? Das habe ich mich bei mancher Tour im tiefsten Nebel auch schon gefragt. Die Schemen im Nebel sind´s nicht immer. Aber die Gewissheit, dass es sich hinterher einfach gut anfühlt, unterwegs gewesen zu sein. Egal, wie das Wetter unterwegs war!
Genau, wenn mans überstanden hat, ist alles nicht mehr so schlimm!
Ich bewundere Dich, dass Du die Tour durchgezogen hast. Aufgeben kommt bei mir zwar auch nicht in die Tüte, aber ich glaube, ich wäre bei einem solchen Wetter wahrscheinlich gar nicht erst losgezogen. Ein kleiner Trost, so sieht der Geigelstein aus, wenn man ihn bei schönem Wetter – wie ich – besteigt: http://www.breitengrad66.de/2014/11/06/unerwartete-begegnung-am-geigelstein/
Danke, Bewunderung ist immer gut :) Ich hatte zwar wenig Sicht und keine Kreuzotter aber immerhin die Hütte…schöne Fotos bei dir, danke!
[…] Hoffnung schöpfen, nur um dann noch dichter wieder zuzuziehen. Immer wieder hatte ich die Tour zum Geigelstein von Steffi Gipfelglückim Kopf – es musste alles gut […]