Man stelle sich die Bayrischen Berge als großes Puzzle vor, mit ein paar hundert Teilen. Am Anfang erwandert man sich hier mal ein Berg-Teil und dort ein See-Teil, nach einer Weile verbindet man Walchensee und Jochberg, Hirschberg und Tegernsee, Wank und Krottenkopf.
Einige Jahre später – bei mir also 4 1/2 Jahre – ist man so weit, dass Löcher gefüllt werden müssen, Gegenden, wo man fast alles kennt und mittendrin noch etwas abgehakt sein will. Solch eine Lücke war bisher der Kramer oberhalb von Garmisch-Partenkirchen, und dieses Puzzleteil habe ich kürzlich mit Wucht an seine Stelle gesetzt.
Die Kramerspitz ist ein Berg, der viele Jahre schon auf meiner Gipfel-Wunschliste stand, nicht zuletzt durch die Erwähnungen in den Alpenkrimis von Jörg Maurer. Bei jeder Fahrt nach oder durch Garmisch-Partenkirchen begrüßt der mächtige Klotz einen, auf dem Philosophenweg hat man ihn konstant im Blickfeld, den Ammergauer Gipfeln ist er ein steter Begleiter.
Um das Puzzleteil „Kramerspitz“ auf dem Spielbrett ablegen zu können, braucht es allerdings den richtigen Moment. Einen Tag ohne Schnee, ohne Regen, ohne Gewitterwarnungen, man sollte früh genug aufbrechen, damit man den Tag vor sich hat und viel Zeit zum Genießen des Gipfels und der wunderbaren Stepbergalm. Es sollte abends also lange hell sein, gleichzeitig wären Wind und ein paar Wolken gar nicht schlecht, weil der Weg bis zum Gipfel fast komplett südseitig verläuft. Ohne klaren Himmel kann man es auch ganz sein lassen – ohne Aussicht ist es nur das halbe Vergnügen.
Meine Empfehlung: am Tierheim parken, an der Maximilianshöhe. Man befindet sich dann schon direkt am Kramer Plateauweg, auf dem man die ersten 15 min geht, hat den kleinen Anstieg zur Gaststätte“Almhütte“ am Morgen und nicht beim Rückweg, außerdem ist der Parkplatz kostenlos. Auf dem flachen Plateauweg geht die Tour gemütlich auf ca 760 m los, was mir immer lieber ist als steile Stellen vom Parkplatz weg. Nach einer Weile geht links ein breiter Weg ab zum Gasthof St. Martin – es wird steil. Kein Wunder, im Winter ist das hier eine berühmte Rodelstrecke! Der Weg ist zwar steil dafür aber im Wald, der Schatten ist gern genommen an dem schon heißen Vormittag.
Die Versuchung am Gasthaus St. Martin (auf 1.028 m) ein zweites Frühstück abzuhalten ist groß, aber die Vernunft siegt, der Weg ist noch weit. Am Ende des Waldstücks gelangen wir zu einer (völlig unnötigen…) Aussichtsplattform, der Felsenkanzel. Die Schrittzählerapp meiner Begleitung meldet, dass die empfohlene Anzahl Schritte für den Tag bereits erreicht ist – doch wir sind noch ein ganzes Stück vom Gipfel entfernt.
Mit dem Schatten und dem bequemen Pfad ist es ab jetzt vorbei, direkt der Sonne ausgesetzt geht es durch steile steinige weiße Rinnen, zum Teil über dünnen rutschigen Schotter, einige wenige Stellen sind seilversichert. Viele Wanderer sind nicht unterwegs, auf diesem bekannten Berg hätte ich mit mehr Betrieb gerechnet. Den einen ist es wohl zu heiß, die anderen verbringen den ganzen Tag auf der Stepbergalm, wie wir später noch sehen werden.
Ziemlich plötzlich stehen wir am Ende der Rinnen, inmitten von Latschen oben auf dem Kamm. Der Blick weitet sich zu früheren „Puzzleteilen“ wie dem Laber und der Notkarspitze. Und in Richtung Süden erblicken wir den schmalen Pfad über den Grat, der uns bis zum Kramergipfel hinüber führen wird. Noch sind wir nicht am höchsten Punkt doch die ganz steilen Stellen sind erst einmal vorbei. Mit den Ammergauer Alpen zur rechten, der knallenden Sonne von oben, dem Karwendel und der Zugspitze zur linken kommen wir nun recht flott voran. Auf staubigem Erdpfad queren wir den Hang, hier muss man trittsicher und schwindelfrei sein und sich etwas konzentrieren.
Der Gipfel ist nun zum Greifen nahe, zum Abschluss geht es noch mal knackig auf weichem Wiesenpfad und einer allerletzten kurzen Kraxelstelle auf die letzten der 1.200 Höhenmeter. Die ersten Wanderer liegen bereits dösend im Gras, die anderen bereiten sich auf den Endspurt vor.
Nach 25.000 Schritten – oder knapp über 4 Stunden oder 1.220 Höhenmetern – haben wir dann den Gipfel auf 1.985 m erreicht und machen es uns mit ein paar anderen Wanderern gemütlich. Unter uns – Zivilisation statt Wildnis. Das Häusermeer von Garmisch-Partenkirchen, Autolärm, Motorrad-Geknatter. Aber man kann darüber hinwegsehen und sich einfach auf das 360 Grad Gipfel-Panorama konzentrieren. Genau gegenüber die Zugspitze natürlich, samtig dunkel der Eibsee, in weitem Bogen die Ammergauer Alpen, Notkarspitze und Laber, das Estergebirge mit dem Krottenkopf, der Wank, schließlich die herrlichen Karwendel-Gipfel am östlichen Horizont. Was mich besonders freut ist der unverkennbare Anblick der Schöttelkarspitze, auf der ich erst am Tag vorher gestanden hatte.
Nächste Etappe, nächstes Ziel: die Stepbergalm. Sie ist mir von der Tour auf den Hohen Ziegspitz vor einigen Jahren noch gut in Erinnerung. Zunächst wandern wir aber auf einem schmalen schotterigen Pfad abwärts, wieder sind einige Stellen seilversichert.
Es geht durch Latschenhaine, zum Schluss eine Almwiese hinab, die Alm kündigt sich nach etwa einer Stunde mit lautem Kuhglockengeläute an. Kaum kommen die Gebäude in Sicht, übertönt plötzlich Blasmusik die Kühe. Unter der Musikbegleitung marschieren wir zu einem der freien Tische, Minuten später stehen Spezi und Bier vor uns.
Die Musiker spielen ein Liedchen, dann trinken sie erst mal wieder ein Bier und diskutieren darüber, was sie als nächstes spielen wollen. Sie sind schon den ganzen Tag aktiv – am Vormittag hat am Hohen Ziegspitz eine Bergmesse stattgefunden, bei der sie gespielt haben, auch viele andere Gäste scheinen seitdem schon vor der Hütte zusammen zu sitzen. Auch uns fällt es äußerst schwer uns von dieser Bilderbuchalm los zu reißen…
Von der Stepbergalm (1.583 m) gehen zwei Wege nach Garmisch zurück, über den Kreuzweg und das Gelbe Gwänd. Wir wählen den zweiten, der durch eine tolle Felsenlandschaft führt. Zum Glück gibt es an einige Stellen noch etwas zu trinken…
Irgendwann reicht es, es war ein langer Tag. Noch ein letztes Stück eben auf dem Kramer Plateauweg und wir sind zurück am Auto, nach etwas über 8 Stunden, einige lange Pausen eingerechnet. Für die Tour braucht man Kondition, es ist eine ordentliche Runde, aber sehr abwechslungsreich, mit schönen schmalen Pfaden, toller Aussicht und einer herrlichen Alm.
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Die Tour wird auch erwähnt im Wanderbuch „Die Bayrischen Alpen für Gipfelsammler“
Höhenangaben aus der Kompass Karte 790 Garmisch-Partenkirchen Mittenwald
Mehr: meine Reisetipps rund um Garmisch-Partenkirchen
PS: Danke an Ironblogger-Kollege Alexander für die Puzzle-Hilfe!
Herausgeberin des Gipfelglück Blogs – seit 2011 eine Sammlung von persönlichen Erfahrungen beim Wandern, Bergsteigen, Radlfahren und Reisen, im Chiemgau, in den Alpen, weltweit.
Mit einer Vorliebe für Höhenmeter, Kuchen, Kaffee, Bücher, Yoga und Weit-Weg-Unterwegs-Sein.
8 Kommentare
Sehr schöner Bericht!
Jedes Mal wenn es mich nach Garmisch verschlägt (also viel zu selten), möchte ich auch mal da hoch.
Bislang ist es allerdings immer am Wetter oder Zeitmangel gescheitert.
Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.
Viele Grüße
André
Bei mir hat es ja wirklich auch lange gedauert, obwohl ich so nahe dran bin. Aber glaub mir – der Berg läuft nicht weg in naher Zukunft…
Oh man, ich bin bei dem Artikel gleich mitgewandert. Wir sind damals jedoch von der anderen Seite über die Stepbergalm auf den Kramer. Ich liebe diese Wanderung – und der Ausblick vom Kramer ist einfach grandios. Habt ihr mal den Topfen auf der Stepbergalm probiert? Genial – jeder Garmischurlaub beginnt oder endet mit einem „Spaziergang“ zur Stepbergalm um Topfen zu essen und genießen dann für Stunden den Blick und die Weite.
Liebe Grüße
Birgit
Den Topfen werde ich beim nächsten Mal probieren! Der Kaiserschmarrn ist jedenfalls auch der Hammer.
Was für eine schöne Wanderung.
Die Blasmusik in der Hütte war ja dann auch sehr passend. So stellt man sich die perfekte Pause vor.
Absolut perfekte Pause, die Stepbergalm ist wirklich ein Traum!
Hallo Stefanie,
was für eine schöne Tour. Die Bilder sind beeindruckend. Garmisch ist und bleibt einfach ein Wanderparadies. Vielen Dank für deinen Tourbericht!
Ich freu mich schon auf deine nächsten Beiträge.
Ja, rund um Garmisch gibts wirklich viel zu machen. Der nächste Bericht wird um eine MTB Tour gehen, sobald ich Zeit zum Schreiben habe…